Eine stolze Bilanz: Acht-eins-eins - 811 Teilnehmer in 37 Jahren hatte unsere Nebelfahrt, darunter sind sieben Teilnehmer, die über 30-mal in den Nebel gestartet sind, und vier davon, nämlich Dieter, Bernd, Marita und Wolfgang, waren bereits bei der ersten Nebelfahrt dabei, und einer von den vieren hat an allen Nebelfahrten teilgenommen. 23 noch aktive Mitglieder waren über 10-mal im Nebel. Damit gehört die Nebelfahrt neben unserer Wildwasserfahrt zu den „dienstältesten“ Veranstaltungen unserer Kanuwanderer.
Die Fahrt hatte sich 1978 die kleine Kanutouristikkommission der Sektion Kanu der BSG Tiefbau mit Werner M., Klaus D. und dem Wanderwart Wolfgang T. ausgedacht. Die ersten Fahrtenleiter waren Werner und Klaus, im zweiten Jahr war es Peter Str., dann elf Jahre lang Ute und Klaus D. 1992 organisierte die Fahrt Werner R., und seit 1993 sind Regina und Dieter M. die Fahrtenleiter, anfangs noch unterstützt von Bernd Sch., nur unterbrochen im Jahre 2004, da schafften sich Anja, Ralf und Jirko. Und wie es sich für die Nebelfahrt gehört, legen Regina und Dieter mit der Schnapszahl 22 ihr Amt nieder. Nun aber genug der statistischen Auswertung, reden wir über 2015.
Einziger Anhaltspunkt für das diesjährige Ziel war der Treffpunkt um 09.30 Uhr an der Kirche in Fürstenberg (Havel) und dass man anschließend auf der Wasserkarte einen blauen Strich nachziehen könnte für ein bisher noch nicht gefahrenes Gewässer.
Da habe ich ganz schön über dem Wasserwanderatlas gebrütet, eigentlich war ich bereits auf allen Gewässern in Mecklenburg gepaddelt, wo sollte es da noch einen mir unbekannten See oder ein unbekanntes Fließ geben. Aber Dieter konnte ja nicht alles wissen, wo ich jemals gepaddelt bin, und folgerichtig habe ich mich dann auch total bei der Zielraterei verhauen. Selbst die verschwurbelten Hinweise auf der Wandzeitung und eine winzig kleine Skizze vom Zielgebiet halfen da nichts.
Pünktlich um halb zehn sind alle 28 Teilnehmer der 37. Nebelfahrt eingetrudelt. Der Wetterbericht hatte an den Vortagen für den Sonnabend Regen, Hagel und Gewitter angesagt. Aber Petrus hatte wieder ein Einsehen mit den Kanuten und wandelte die Schlechtwetterprognose in stürmischen Wind um. Damit würden wir fertig werden. Dann setzt sich die Fahrzeugschlange auch schon in Bewegung, zuerst geht es die B 96 weiter in nördliche Richtung, und noch innerorts biegen wir ab in Richtung Lychen. Mein Gesicht verbog sich zum Fragezeichen. Wo sollte da noch ein unentdecktes Gewässer sein. In Lychen waren wir schon mehrmals bei unserer Pilzsuchfahrt gewesen, auch den Küstrinchenbach hatten wir mehrmals befahren. In Lychen angekommen, biegen wir in die Templiner Straße ein und kurz vor dem Café Alte Mühle in die Gartenstraße ab. Hier befindet sich am Oberpfuhl See eine große Wiese.
Nach dem Abladen der Boote fahren die Kraftfahrer zum heutigen Ziel. Nun würde das Rätsel endgültig gelöst werden. Kurz hinter Lychen biegen wir ab in Richtung Retzow, um bereits nach wenigen Metern wieder nach rechts in einen schmalen gepflasterten Waldweg zum Lindenhotel Lychen einzufahren. Nun war alles klar. Das Hotel befindet sich am Wurlsee, und das ist abseits der üblichen Wasserstraße nach Himmelfort und Fürstenberg. Nach Rückkehr der Kraftfahrer gibt es den obligatorischen Pfannkuchen als Erinnerung an den 11.11. sowie reichlich Kaffee und Kuchen vieler Sponsoren. Natürlich wird auch das Bummilied gesungen, und die Boote werden mit Luftballons geschmückt.
Danach schleppen wir die Boote zur Einsatzstelle am Stadtsee. Hier könnte allerdings die Stadt Lychen für die vielen Paddler, die vom Oberpfuhl-See zum Stadtsee umtragen müssen, eine etwas komfortablere Einsatzstelle bauen. Inzwischen hat auch der Westwind erheblich aufgefrischt, und hohe Wellen erschweren zusätzlich das Einsetzen. Aber bald ist auch das geschafft, und 22 Paddler sitzen in 5 Zweier- und 12 Einer-Booten und kämpfen sich im Sturm westwärts bis zur Eisenbahnbrücke zwischen Stadtsee und Großem Lychensee. Vor der Brücke zweigt nach rechts ein Fließ zum Nesselpfuhl ab. Aha, ab hier beginnt das unbekannte „Neugewässer“. Hier ist es endlich windgeschützter, und nach der angestrengten Ein-Kilometer-Paddelei können wir uns eine kleine Pause gönnen und die mitgeführten Flaschen entkorken. Nach dieser kleinen „Stärkung“ geht es weiter zum Nesselpfuhl. Zusammen mit Oberpfuhl-See und Stadtsee umschließt er die Altstadt von Lychen wie eine Insel, und so haben wir jetzt wieder einen schönen Blick auf Lychen. Wir halten uns am westlichen Ufer, und schon bald zweigt wieder ein idyllisches Fließ, die Wurlflut, in nord-westliche Richtung zum Wurlsee ab.
Windgeschützt halten wir uns am westlichen Ufer, umfahren die Halbinsel, auf der sich unser Hotel Lindenhof befindet, und steuern eine Badestelle am nördlichen Ufer in der Nähe des Dorfes Retzow an.
Hier wartet bereits das sechsköpfige Service-Team mit dem Mittagsimbiss, dazu gehören Reginas leckerer Kartoffelsalat, rustikale Schmalz- und Leberwurststullen, auf dem Grill brutzeln die Bratwürste, und auf dem Kocher köchelt der Glühwein.
Kaum sind wir abgefüttert, lauern schon die Sieger der Nebelspiele des Vorjahres, Beate und Nicole, und rufen zum Wettkampf. Schnell sind zwei Mannschaften gebildet. Dieses Mal geht es nicht um Geschicklichkeit (sowie um Behinderungen der gegnerischen Mannschaft), sondern ausschließlich um hohes geistiges Niveau. Aber wie immer wird auch hier verbissen um Punkte gekämpft, was bei den leicht vernebelten Gehirnen gar nicht so einfach ist. Aus dem vielen Papier dürfen wir zum Abschluss noch einen Flieger für einen Weit- und Zielwurf basteln. Und dann verkünden die Spielleiterinnen auch schon die Sieger – Dieter und Regina. Aber Regina meint, sie habe doch gar nicht mitgespielt, und verkrümelt sich in den Hintergrund. So muss nun der Zweitplatzierte ran – Ralle. Überglücklich nehmen die Sieger den Wanderpokal in Empfang und brechen in frenetischen Jubel aus. Na ja, jetzt haben sie ein Jahr Zeit, sich neue Spiele auszudenken.
Nun klettern alle wieder in die Boote und paddeln den kurzen Weg zurück zu der Halbinsel im Wurl-see, auf der sich unser Hotel befindet. Nach dem Verladen der Boote und dem Beziehen unserer Zimmer trifft sich der größte Teil der Mannschaft in der Sauna. Einige nutzen die Zeit bis zum Abendbrot, um bei tiefem, auch unüberhörbar lautem Schlaf einige Promille abzubauen. Die Sauna befindet sich in unmittelbarer Seenähe, den auch einige Hartgesottene zur Abkühlung nutzen.
Um 19.00 Uhr finden sich (fast) alle an drei großen runden Tischen zum Abendbrot ein. Auf uns wartet ein köstliches Buffet.
Zur Eröffnung wird ein riesiger Truthahn hereingebracht. Also, nach den anstrengenden (gerade mal) fünf Paddelkilometern kann man schon mal ordentlich reinhauen.
Nachdem alle zum Platzen satt sind, verkündet Dieter die Sieger der Zielraterei. Es gab wirklich Sportfreunde, die einen richtigen Tipp abgaben. Inzwischen lief Bernds Rechner heiß und brannte die heutigen Camcorder-Filmschnipsel zu einem Erlebnisfilm der diesjährigen Nebelfahrt. Nun können alle noch einmal den heutigen Tag nacherleben.
Ausgeschlafen (und wieder nüchtern) treffen wir uns am Sonntagmorgen zum Frühstück. Das Frühstücksbuffet ist wieder reichhaltig und genauso lecker wie das Buffet am Abend zuvor. Alle freuen sich, dass der Regen, der vor den Fenstern herniederprasselt, uns beim Paddeln verschont hat. Kurz vor 10 Uhr starten wir zum Kulturhöhepunkt, der ebenfalls immer zu einer Nebelfahrt gehört. In diesem Jahr genießen wir eine geführte Stadtwanderung durch Gransee mit dem Stadtführer Karl Busch im historischen Kostüm als Landsknecht vom Verschönerungsverein, einem unnachahmlichen, mit viel historischem Wissen ausgestatteten, Witz und Charme versprühenden Mittsechziger, der im wahrsten Sinne des Wortes als Original und Unikum bezeichnet werden kann.
Gransee hat durchaus etwas Besonderes, es versprüht regelrecht historisches Flair. Die Stadt hat vor allem bezüglich ihrer wechselvollen Geschichte so einiges Sehenswerte zu bieten. Insbesondere der eine ovale Form aufweisende historische Stadtkern, der innerhalb der noch sehr gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtbefestigung nach dem verheerenden Großbrand von 1711 größtenteils neu errichtet wurde.
Stationen des Streifzuges durch die Stadt mit Karl Busch sind unter anderem die mittelalterliche Stadtbefestigung mit der Stadtmauer und den Weichhäusern, dem Ruppiner Tor und dem Pulverturm, das ehemalige Franziskaner-Kloster, das Rathaus, die imposante Pfarrkirche St. Marien, der Schinkelplatz mit dem „Monument“ zu Ehren der volksnahen und äußerst beliebten preußischen Königin Luise, deren Leichnam bei der Überführung von Hohenzieritz nach Charlottenburg just an dieser Stelle in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1810 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung aufgebahrt stand, und nicht zuletzt das ehemalige Hospital nebst Hospitalkapelle, die heute unter der Ägide des Verschönerungsvereins das Heimatmuseum und die Touristinformation beherbergen. Historisch Belegtes wird uns von Karl Busch durch so manche Anekdote und Episode zum Schmunzeln oder zum Gruseln bereichert.
Zum Abschluss des Stadtrundgangs begeben wir uns zur Gaststätte Huckeduster gegenüber der Marienkirche mit ihren zwei prunkvollen Spitzen. Die historische Gaststätte hat sich dem Stadtbild angepasst und glänzt mit ihrem Fachwerk und einem schönen Biergarten im Hinterhof. Die Gaststätte hat auch eine Geschichte zu erzählen. Wo früher eine Polsterei und Sattlerei waren, sollte im Jahr 1990 ein Stehimbiss entstehen. Aber im Jahr 1994 wurde durch Modernisierungsarbeiten eine komplett neue Idee geboren, und es entstand eine Gaststätte, welche sich mit der Stadt Gransee identifizieren kann, historisch, gemütlich und einladend.
Unser Startgeld gibt zwar nur noch eine Soljanka her, aber nach der Völlerei des gestrigen Tages durchaus ausreichend. Und bevor wir wieder in den Regen entlassen werden, bedanken sich alle noch bei den langjährigen Fahrtenleitern Regina und Dieter, die mit dieser Nebelfahrt noch einmal einen krönenden Abschluss setzten. Trotz guten Zuredens und viel, viel Lob in all den Jahren, sie wollen einfach nicht mehr.
Unserem Wanderwart Holger ist es aber gelungen, zwei Nachfolgerinnen zu gewinnen. In den nächsten Jahren werden Nicole und Ute die Nebelfahrt organisieren. Es wäre auch wirklich schade gewesen, wenn es eine unserer ältesten Traditionsfahrten nicht mehr gäbe.