So zwischen 17.00 und 20.00 Uhr treffen die meisten Teilnehmer der traditionsreichen Winter-Saale-Fahrt am Freitagabend, dem 26.02.2016, in der Jugendherberge Bad Sulza ein. An jedem Eingang sind die wichtigsten Informationen für die Teilnehmer an einer Tafel ausgehangen.
Das Wichtigste für mich ist erst mal die Zimmernummer, wo ich schlafen darf. Gar nicht so einfach, sein Zimmer in dem verwinkelten Bau zu finden. Ich bin jedes Mal erstaunt, wie in einem von außen durchaus klar gegliedertem Haus, solch ein verwinkeltes Chaos herrschen kann.
Die Jugendherberge befindet sich in dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Herrenhaus in Bergsulza, welches an Stelle eines Klosters aus dem 11. Jahrhundert steht, dass vom Pfalzgrafen Friedrich II. von Sachsen errichtet worden war. Aber nach diesem ersten Schock empfängt mich ein kleiner Raum mit einigen bereits mit Bettzeug bezogenen Doppelstockbetten, die einzige Herberge in Deutschland mit diesem Service. Ab 19.00 Uhr gibt es Abendbrot, traditionell ein warmes Essen, da sich wegen der hin kleckernden Anreise die Ausgabe bis 21.00 Uhr verzögert. Nun gibt’s auch die ersten Begrüßungsszenen, da sich viele Sportfreunde von früheren Fahrten bereits kennen. Und recht schnell finden sich an den Tischen einige Runden zusammen. Inzwischen dreht auch der seit der 19. Fahrt mit großem Erfolg agierende Fahrtenleiter Jan Fröhlich vom Sportclub Berlin-Grünau seine persönliche Begrüßungsrunde, lässt sich von den Gruppenfahrtenleitern die Sicherheitsbelehrung quittieren und verteilt die Essenmarken für den kommenden Sonnabend.
Um 21.00 Uhr ist der Platz im Clubraum bis auf den letzten Stuhl besetzt, Bernhard B., angereist aus Karlsruhe, zeigt als erstes eine Diaserie von einer Fahrt dreier Faltbootfahrer auf dem Göksu Nehri in der Türkei. Der erste Teil führt durch ein steppenähnliches Hochland und anschließend mit leichtem Wildwasser durch den Taurus, bis nach über 100 km der Fluss ins Mittelmeer mündet. Bernhard hatte eine ausführliche schriftliche Dokumentation dabei, die Interessenten bestimmt bei ihm bekommen können (Adresse über den Fahrtenleiter). Danach zeigte Wolfgang T. vom SCBG einen Film der 38. Wildwasserfahrt auf erzgebirgischen Wildflüssen. Da der Film hauptsächlich für die Teilnehmer gemacht ist und sich dort auch jeder mal sehen will, ist er in vielen Sequenzen sehr ausführlich. Und das dauert halt, bis alle dreißig Paddler eine schwierige Stelle gemeistert haben. Aber einige Sportfreunde waren doch erstaunt, was unser erzgebirgisches Mittelgebirge zu bieten hat.
Nach dem ausgiebigen Frühstück am Samstagmorgen rollt die Autokolonne nach Jena. Einer Winterfahrt angemessen, waren des Nachts einige Minusgrade, so dass wir die Autoscheiben erst blank kratzen müssen. Aber zur Eröffnung gegen 10.00 Uhr beim Kanusportverein Schott Jena ist das Thermometer bereits Dank Sonnenschein in den Plusbereich geklettert. Der Wanderwart des Vereins, Olaf W., hat uns seit 29 Jahren rechtzeitig für unseren Start die Tore geöffnet. Olaf, dafür gebührt Dir ein großes Dankeschön.
Alsbald ruft der Fahrtenleiter zur offiziellen Eröffnung. Stolz verkündet er die aktuelle Teilnehmerzahl. Angereist sind 138 Sportfreundinnen und Sportfreunde von 18 Kanuvereinen aus Berlin, Brandenburg, Coswig/Anhalt, Darmstadt, Dessau, Eisenhüttenstadt, Guntersblum, Göttingen, Karlsruhe, Kassel, Leipzig, Neckarsulm, Rehbrücke und Werdau, dabei war auch ein Schweizer Sportfreund, der aber unter einem süddeutschen Kanuverein gemeldet war. Die stärkste Vertretung stellen die Sportfreunde vom LKV Berlin und LKV Brandenburg mit 77 Teilnehmern. Allerdings sind wir damit auch am Limit der Fahrt angekommen. Die Jugendherberge hatte in diesem Jahr 140 Bettenplätze im Haupthaus, dem Nebengebäude und dem Klosterhof. Da wegen anderweitiger Belegung der Klosterhof im nächsten Jahr nicht mehr zur Verfügung steht, wird sich das Limit der Fahrt auf etwa 120 reduzieren.
Weiterhin stellt Jan noch Bernd R. und Carmela W. aus Werdau vor, die nun als Einzige bei allen 29 Fahrten dabei waren. Es schloss sich der älteste Teilnehmer Kurt R. mit 78 Jahren an und Rolf M. mit Heiko St. aus Rehbrücke, die bei allen von Jan organisierten Fahrten dabei waren. Leider sind die Akten der ersten 18 Fahrten nicht mehr vorhanden, so dass es an weiteren statistischen Aussagen fehlt.
Zum Schluss gibt es organisatorische Hinweise und auch ergänzende Ermahnungen zu seiner letzten E-Mail über das Verhalten in der Jugendherberge, in der Mittagsgaststätte und auf dem Wasser. Die zwei Heikos riefen zur großen Bierverkostung am Abend auf und baten um eine Abgabe der Bierflaschen zu 18.30 Uhr.
Endlich war die lange Eröffnung vorbei und die Fahrt konnte mit dem dreimaligen Schlachtruf „Sport – Frei!“ der neuen Bundesländer eröffnet werden (Film ansehen). Und dann ging es gegen halb Elf aufs Wasser, allerdings um nach wenigen Metern bereits das erste Wehr, das Rasenmühlenwehr, auf der rechten Seite zu umtragen. Nach einem Kilometer kommt schon wieder ein Wehr, das Paradieswehr, ein recht hohes steil abfallendes Sturzwehr. Gleich zu Beginn der Fahrt stellen wir einen sehr guten Wasserstand fest. Wir haben heute eine Abflussmenge Q von rund 55 m3/s, was sich auch in einer hohen Fließgeschwindigkeit bemerkbar macht. Im Rahmen des Blauen Bands der Saale wurde an den meisten Wehren komfortable Ein- und Ausstiege gebaut. So auch hier. Am praktikabelsten sind die Gitterrosttreppen, denn an ihnen kann sich der im Fluss mitgeführte Schlamm nicht so absetzen. Weiter geht die Fahrt durch Jena. Langsam rücken die Häuser in den Hintergrund und wir nähern uns der Kunitzer Hausbrücke.
Alsbald wird die Fließgeschwindigkeit wieder geringer, und wir erreichen nach 6,8 km das Porstendorfer Wehr. Hier fehlt leider eine Ausstiegshilfe zur Alten Saale. Mit sehr flotter Strömung geht es nun 2,8 km saaleabwärts bis zur nächsten Straßenbrücke. Vor dieser Brücke und seinen Pfeilern hat der Fahrtenleiter ausdrücklich gewarnt, trotzdem fordert sie wieder ein Opfer.
Nach ca. 1,5 Std. ist bereits Golmsdorf erreicht. Hier ist im Gasthof „Zum Gleistal“ seit 21 Jahren das Mittagessen bestellt. Der Wirt hat uns immer mit hervorragenden Thüringer Klößen verwöhnt, in diesem Jahr ergänzt mit unzähligen Portionen geschlachteter Gänse. Als er mit Jan in den Saal kommt, erhält er wieder als Dank einen begeisterten Beifall. 138 Gäste innerhalb kürzester Zeit mit Getränken und Essen zu versorgen ist für solch kleinen Dorfgasthof schon eine beachtliche Leistung.
Es gibt auch einen kleinen Wermutstropfen. Im Gespräch mit dem Fahrtenleiter ließ er durchblicken, dass er mit seinen 75 Jahren nicht weiß, wie lange er noch durchhält, da er bis jetzt keinen Nachfolger gefunden hat.
Frisch gestärkt, auch mal die Beine bewegt, geht es wieder bei schneller Strömung 4,9 km weiter zum Dorndorfer Wehr. Bald grüßen von dem linken Muschelkalkfelsenplateau die Dornburger Schlösser. Das Ensemle besteht aus dem Alten Schloss, einem Rokoko-Schloss und einem Renaissance-Schloss.
Wir fahren in den rechtsseitig liegenden Kraftwerkkanal bis zum Ende. Hier befindet sich wieder ein komfortabler Aus- und Einstieg. Dank des hohen Wasserstandes ist im nachfolgenden Streckenabschnitt bis zum Döbritzschener Wehr der Fluss nicht gar so träge wie im vergangenen Jahr. Trotzdem ist der Rückstau alsbald zu merken, aber da sehen wir nach einer weit geschwungenen Linkskurve bereits das Wehr. Natürlich inspizieren wir sogleich den Kanu-Fisch-Pass, aber fast alle verzichten beim Blick ins Unterwasser doch lieber auf eine Befahrung. Nur zwei Sportfreunde von Stahl Brandenburg meinen es zu schaffen und werden für ihren Übermut mit einem kühlen Bad bestraft. Bei dem heute sehr guten Wasserstand kommt nämlich im Unterwasser von links eine kräftige Seitenströmung, die einen ans rechte Ufer drückt.
Und noch etwas fällt bei dieser Etappe auf: Sehr viele Bäume weisen Biberspuren auf. Handelt es sich nun um den Elbebiber oder ist er aus Bayern eingewandert. Da fragt man sich, wie hat der Biber große Städte wie Halle und Weißenfels umgangen und wie meistert er die Wehre.
Bis zum heutigen Ziel sind es nur noch 2,6 km, allerdings fast vollständig im Rückstau des Camburger Wehres. Und ab 15.00 Uhr trudeln in den folgenden 3 Stunden alle Paddler in Camburg ein. Die Boote werden auf der großen Wiese relativ sorglos abgelegt. Hier mal ein großes Lob an alle Camburger, bei 29 Winter-Saale-Fahrten gab es keinen Diebstahl oder übermütige „ins-Wasser-Schmeiß-Aktionen“. Hoffen wir, dass es so bleibt. Bis zum Abendbrot sind alle Teilnehmer wieder in der Jugendherberge in Bad Sulza eingetroffen.
Die fleißigen Herbergsköche haben bereits den Holzkohlegrill angeschmissen und ab 19.00 Uhr gibt es zu Kartoffel- und Nudelsalat Thüringer Rostbrätl und die köstliche Thüringer Bratwurst.
Währenddessen sortiert und sortiert Heiko die mitgebrachten Biersorten auf einer großen Tafel. Gar nicht so einfach bei der Funzelbeleuchtung. Die Anzahl wird immer größer, kaum eine Flasche ist doppelt vorhanden. Gespannt warten alle auf das Endergebnis. Wird es einen neuen Rekord geben? Bei 138 Teilnehmern könnten theoretisch 276 Biersorten zusammen kommen. Nein, der Rekord des Vorjahres wird nicht überboten. Trotzdem sind die erreichten 191 Biersorten wieder ein stolzes Ergebnis. Übrigens, die in den Medien am Vortag angeblich krebserregenden Bier waren nicht dabei.
Allerdings muss ich beim Vergleich mit dem Foto des Vorjahres auch feststellen, dass sich einige Sportfreunde vor der kleinen zusätzlichen Spende gedrückt haben. Im Vorjahr stand der Tisch brechend voll. Die Bierverkostung ist eröffnet. Und unglaublich aber wahr, gegen 23.00 Uhr ist die letzte Flasche geleert, was meinen vor genannten Verdacht erhärtet.
Am nächsten Morgen bietet sich das übliche Chaos. Man muss die geleerten Flaschen nicht irgendwo am Feuer rumliegen lassen. Auch sollte jeder seine Flaschen wieder mit nach Hause nehmen. Mindestens 20 Flaschen standen nach Abreise aller noch auf dem Tisch. Auch die Plastik- und Pappbecher sind auf der Erde statt in den überall herumstehenden Papierkörben gelandet. Liebe Sportfreunde, es wäre sehr schön, wenn alle etwas mehr auf Ordnung halten würden. Ein Dank an Rolf von Rehbrücke und Fränki von Stahl Brandenburg, sie haben Euch am nächsten Morgen hinterhergeräumt. Einige Sportfreunde haben seelenruhig quatschend den Aufräumern zugesehen, als eben mal kurz mit anzufassen. Wir wollen doch als Sportler bei der Herbergsleitung einen guten Eindruck hinterlassen. Wenn uns die Jugendherberge nicht mehr aufnimmt, ist nämlich Schluss mit der Winter-Saale-Fahrt.
Am Sonntagmorgen sind wieder Minusgrade. Fast alle bringen ihre Fahrzeuge ans Ziel nach Bad Kösen und fahren ganz ökologisch mit der Eisenbahn nach Camburg. Hier empfängt uns der Fahrtenleiter bereits zu seiner Abschlussrede. Als erstes erhalten die drei Gekenterten unter großem Beifall ihre Kenterorden. Danach erteilt er allen ein großes Lob für die gute Disziplin, von der Herbergsleitung gab es in diesem Jahr keine Beschwerden.
Anschließend erfolgt der Start zur zweiten und schönsten Etappe der Fahrt. Bloß die Sonne versteckt sich hinter einer leichten Dunstglocke. Ohne Hindernisse, immer mit flotter Strömung und ob des hohen Wasserstandes fast ohne Schwallstrecken geht es in etwa 1,5 bis 2 Stunden 17 km nach Bad Kösen. Nach 8 km steht rechtsseitig die erste Kilometertafel -180,0- an der Saale, etwa in Höhe der Ilmmündung. Plötzlich ändert sich die Landschaft. Die Saale mäandriert mehrmals zwischen den Kalksteinfelsen auf der linken und rechten Talseite. Bald grüßen uns Burg Saaleck und die Rudelsburg.
Auf den letzten 2 km müssen wir wieder gegen den Rückstau des Kösener Wehr anpaddeln. Die ersten steigen an der Fußgängerbrücke aus. Die meisten fahren noch bis zu einem großen Parkplatz mit Wiese am Schiffsanleger.
Eine tolle Wochenendfahrt mit einer Rundumversorgung geht damit zu Ende. Im nächsten Jahr treffen wir uns zur 30. Winter-Saale-Fahrt bereits am 24. Februar wieder in Bad Sulza. Unter http://www.scbg.de/index.php/de/kanu/wandern/wintersaale wird die Ausschreibung veröffentlicht. Und denkt daran, rechtzeitiges Melden sichert die Plätze.