Im Bericht unserer Elbefahrt von 2014 steht als letzter Satz:
„Zwischen Dresden und Hamburg gibt es an der Elbe zahlreiche Kanustationen. Wir sollten in den nächsten Jahren im Rahmen unserer Fahrtenplanung einige dieser auch historisch interessanten Orte für eine Elbbefahrung aufnehmen…“
Nachdem wir 2014 von Meißen nach Strehla gepaddelt waren, sollte es also in diesem Jahr von Strehla über 40 km nach Torgau weiter gehen. Der Fahrtenleiter hatte uns rechtzeitig in der Kanustation des Torgauer Kanuvereins angemeldet. Am Freitag, den 12. August, reisten dann 22 neugierige Kanuten an. Unsere Senioren waren natürlich schon am frühen Nachmittag angekommen und nutzten die Zeit für einen ersten Stadtbummel sowie einen Besuch in der Gedenkstätte des schlimmsten Jugendwerkhofes der DDR. Nahe der Elbe befindet sich am historischen Ort die Gedenkstätte "Geschlossener Jugendwerkhof Torgau". Mit ihrer Dauerausstellung dokumentiert sie die repressiven Machtstrukturen des DDR-Bildungssystems, erinnert an die jugendlichen Opfer der sozialistischen Umerziehungspraxis und thematisiert aktuelle Aufarbeitungsprozesse zur Geschichte der Heimerziehung in der DDR.
Im Laufe des Abends trudelten dann auch die restlichen Teilnehmer ein. Die Kanustation hat vier Zimmer zu vermieten, die ob der unsicher prognostizierten Wetterlage auch dankbar angenommen wurden. So standen auf der kleinen Zeltwiese nur drei Zelte. Nur auf der Betonfläche vor der Bootshalle drängelten sich sechs Wohnmobile und Schlafautos.
Am Sonnabendmorgen starten sechs Fahrzeuge nach Strehla. Über die B 182 ist die Strecke etwas kürzer als auf dem Wasser und nach einer guten halben Stunde erreichen wir den Elbparkplatz an der Riesaer Straße. Vor dem Start gibt es eines der obligatorischen Gruppenfotos.
Wir befinden uns auf historischem Terrain. Nach neuesten Forschungen fand nämlich die erste Begegnung der alliierten Truppen am 25. April 1945 um 12.00–13.00 Uhr hier beim Ort Strehla statt. Albert Kotzebue, Leutnant des 273. Infanterieregiments der 69. Division V. Korps. 1. US-Armee überquerte mit drei Männern seines fünfköpfigen Aufklärungstrupps (unter ihnen der Soldat und spätere Friedensaktivist Joseph Polowsky, der im November 1983 in Torgau begraben wurde) bei Strehla im Boot die Elbe Sie begegneten dort dem russischen Oberstleutnant Alexander Gordejew, Kommandeur der Vorausabteilung des sowjetischen Garde-Schützen-Regiments 175. Das Treffen in Strehla/Lorenzkirch wurde allerdings weder protokolliert noch veröffentlicht.
Blick nach Lorenzkirch am Ostufer der Elbe
Vier Kilometer elbabwärts kam es in Kreinitz ebenfalls am 25. April 1945 um 13.30 Uhr zur zweiten Begegnung der amerikanischen Kotzebue-Patrouille mit Oberstleutnant Alexander Gordejew. Dieses Treffen wurde auf russischer Seite als erste Begegnung protokolliert; am nächsten Tag wurden für die Medien inszenierte Bilder hergestellt. Erst vier bis fünf Stunden später, gegen 16 Uhr, sei eine andere Patrouille – mehr durch Zufall – bis nach Torgau vorgestoßen und dort ebenfalls auf Truppen der Sowjetarmee getroffen. Am 26. April 1945 wurde dort die erste Begegnung von Soldaten der USA und der UdSSR für die Kameras nachgestellt. Der Elbe Day am 25. April ist seitdem ein Gedenktag des Zweiten Weltkriegs.
Kurz vor 11 Uhr sind dann alle auf dem Wasser und genießen die flotte Strömung, denn noch weht nur ein schwaches Lüftchen. Über uns kreisen sechs Störche am Himmel und trainieren für ihren Abflug in den Süden. Alle sechs, sieben Minuten fliegt eine Kilometertafel auf der rechten Elbseite an uns vorbei. Merkwürdig wird es bei Elbe-km 121. Nach der Kilometrierung durch das Königreich Sachsen (vom Süden her) und den Staat Preußen (vom Norden her) wurde zu spät ein Fehler festgestellt. Die Korrektur war nicht mehr möglich, somit gibt es nach dem Kilometer 121 noch einen zweiten Kilometer 121A. Wir paddeln den Kilometer also doppelt. Hier beginnt auch die ehemals „preußische“ Elbstrecke mit Ansteuerbaken für die Schifffahrt. Am linken Ufer stehen ein gelbes Kreuz und eine grüne Raute auf grün-weißem Pfahl und grüne Bojen, am rechten Ufer stehen ein gelbes Kreuz und ein rotes Quadrat auf rot-weißem Pfahl und rote Bojen. Diese Binnenschifffahrtszeichen sind für uns Kanuten bei der Begegnung mit Binnenschiffen insoweit interessant, um die Fahrtroute der Schiffe einschätzen zu können. Denn auch wir bemühen uns, die Linie der größten Fließgeschwindigkeit zu nutzen, und das ist nun mal nicht die Innenkurve sondern die Außenkurve.
Bei km 125 passieren wir die neue Elbebrücke bei Mühlberg. In einem eleganten Schwung überspant diese Brücke mit einer gewaltigen lichten Weite ohne einen Pfeiler im Fluss die Elbe. Die Bauarbeiten begannen im März 2006, die Übergabe an den Verkehr folgte am 22. Dezember 2008. Bis zu diesem Zeitpunkt musste hier mit einer Fähre übergesetzt werden. Der Stahlverbundüberbau hat einen trapezförmigen einzelligen Hohlkastenquerschnitt. Die Stützweiten betragen im westlichen Randfeld 84,5 m, im Hauptfeld über der Schifffahrtsrinne sind 144,0 m vorhanden und in den folgenden Feldern 120,0 m sowie 62,0 m. Über das anschließende Vorland schließt sich eine Spannbetonbrücke mit weiteren acht Feldern an. Damit wissen wir auch anhand des nächsten Fotos, dass die Elbe hier etwa eine Breite von gut 100 m hat.
Der Fahrtenleiter hatte uns nach 25 km für Belgern ein Mittagessen versprochen. Aber inzwischen ging es bereits auf halb zwei Uhr und Einigen knurrte schon gewaltig der Magen. Bis Belgern waren es immer noch etwa 5 km zu paddeln. Also wurde ein Sandstrand zwischen zwei Buhnen angesteuert und auf die Verpflegung aus dem Rucksack zurückgegriffen.
Die Elbe machte hier einen sehr sauberen Eindruck. Wenn das Wasser auch nicht besonders warm war, hat Dieter doch einen Abbadeversuch gestartet.
Noch liegen 20 Kilometer vor uns. Wenn auch so eine Mittagspause mächtig faul macht, müssen wir wohl oder übel weiter paddeln. Inzwischen hat der Wind erheblich aufgefrischt. Und immer, wenn die Elbe einen harten Schwenk nach Westen macht, bläst uns ein kräftiger Westwind entgegen, der einigen unserer Paddler ganz schön zu schaffen macht. Aber dann folgt wieder eine Rechtskurve und die Elbe fließt in nord-östlicher Richtung. Da heißt es, schnell die Paddel hochstellen und den Rückenwind auszunutzen. Hier zeigen die GPS-Geräte bis zu 10 km//h an.
Bald ist Belgern erreicht. Die Gierfähre liegt gerade günstig auf der rechten Seite und wir versuchen zügig an ihr vorbei zu paddeln, ehe sie wieder ablegt. Ein wenig Achtsamkeit ist an diesen Fähren immer erforderlich, aber sie werden ja auch am Ufer durch entsprechende Schifffahrtszeichen angekündigt. (Und niemals zwischen den gelben Bojen durchfahren! Es besteht Lebensgefahr und die Aussicht auf 35 € Verwarnungsgeld).
Im Kampf mit dem Wind geht es weiter und bei km 154 erreichen wir Torgau, links die Stadt, rechts ausgedehnte Wiesen. Von weitem grüßt bereits das leuchtend weiß rekonstruierte Schloss Hartenfels.
Bei km 155 legen wir am Bootssteg des hier ansässigen Rudervereins an. Am Vortag hatten wir uns die Genehmigung dazu eingeholt. Nach dem gemütlichen Kaffeetrinken starten zwei Autos mit den Kraftfahrern, um unsere Fahrzeuge aus Strehla abzuholen.
Die Zurückgebliebenen heizen inzwischen die Grills an. Mussten wir am Freitagabend wegen kleiner Regenschauer noch in die Klubräume flüchten, ist es heute warm und trocken, und wir können den Rest des Abends draußen sitzen.
Der Sonntag gehört – wie zu jeder Elbefahrt – der Kultur. Jörg hat sich wie immer bestens vorbereitet und macht mit uns eine dreistündige Stadtführung. Rund 500 Baudenkmale der Spätgotik und Renaissance stellen ein städtebauliches Ensemble von internationalem Rang dar.
Erste urkundliche Erwähnung fand der Ort unter dem Namen Torgove in einem Dokument aus dem Jahr 973. Der Name ist altsorbischer Herkunft. „torg“ bedeutet Markt. Torgov ist also ein Marktort. Wann der Ort eine Stadt wurde, ist nicht datiert. Zumindest aus dem Jahr 1267 findet sich eine Notiz, die von der Stadt Torgau spricht. 1485 fand die Leipziger Teilung zwischen den Brüdern Ernst und Albrecht statt.
Ernst machte Torgau zur Residenz seines Machtbereiches. Schloss Hartenfels wurde zur Hauptresidenz der ernestinischen Kurfürsten. Torgau war mit Schloss Hartenfels zu der Zeit das politische Zentrum der Reformation und ist heute eine wichtige Lutherstätte in Sachsen. Überliefert ist der Spruch: „Wittenberg ist die Mutter, Torgau die Amme der Reformation“. Im März 1530 verfasste Martin Luther hier gemeinsam mit weiteren Reformern die Torgauer Artikel.
Im Schmalkaldischen Krieg von 1546 bis 1547 unterlagen die protestantischen Landesfürsten Kaiser Karl V. Infolge der Wittenberger Kapitulation kam Torgau vom ernestinischen Sachsen unter Johann Friedrich zum albertinischen Sachsen unter seinem Vetter Moritz in Dresden. Durch den gleichzeitigen Wechsel der Kurwürde blieb es in Kursachsen. Schloss Hartenfels war fortan nur noch Nebenresidenz, verlor jedoch nie die symbolische Bedeutung für die reformatorische Bewegung.
Als erstes besuchen wir das aufwändig restaurierte Bürgermeister-Ringenhain-Haus, eines der bedeutendsten Renaissance-Bürgerhäuser im mitteldeutschen Raum. Das stattliche dreigeschossige Bürgerhaus mit steilem Satteldach verbirgt hinter einer schlichten Fassade einzigartige, in höchster Qualität ausgeführte Decken- und Wandmalereien und plastische Dekorationselemente des späten 16. und frühen 17. Jhdt.
Torgau ist auch untrennbar mit Katharina von Bora, der späteren Frau Martin Luthers verbunden. War doch Torgau die erste Station nach ihrer Flucht aus dem Kloster Nibschen. 1552 reiste Luthers Witwe Katharina von Bora nach Torgau, um sich vor der in Wittenberg ausgebrochenen Pest in Sicherheit zu bringen. Bei einem Kutschenunfall brach sie sich jedoch das Becken und starb am 20. Dezember 1552 in Torgau an den Folgen. In ihrem Sterbehaus befindet sich ein ihr gewidmetes Museum. Ihr Grabmal in der Kirche St. Marien ist eine der Torgauer Sehenswürdigkeiten.
Der letzte Besuch gilt Schloss Hartenfels nahe der Elbe. Es ist das besterhaltene Schloss der Frührenaissance, der Sitz der ernestinischen Wettiner war und heute wechselnde Ausstellungen beherbergt.
Von Bedeutung ist hier die Schlosskapelle, sie war der erste evangelische Kirchenneubau. Martin Luther rühmte sie mit den Worten: „Salomo hat nirgends einen so schönen Tempel gebaut, als Torgau hat.“ Luthers Vorstellungen von gottesdienstlichen Versammlungen prägen diesen Kirchraum. Er selbst weihte die Kapelle der sächsischen Kurfürsten auf Schloss Hartenfels am 5. Oktober 1544 ein.
Anschließend erklimmen einige die 163 Stufen der Wendeltreppe zur Aussichtsplattform des Hausmannsturmes, um den einzigartigen Rundumblick über die Dächer von Torgau und die weite Elblandschaft zu genießen.
(Foto von Alois Köppl, Gleiritsch)
Nach dem dreistündigen Stadtrundgang sind wir erst mal geschafft und stärken uns in verschiedenen Gaststätten von Torgau. Jörg, Du hast das wieder toll gemacht, wie blind würden wir ohne dich durch eine Stadt laufen.
Da 2017 bekanntlich 500 Jahre Reformation begangen wird, ergeht die Bitte an den Wanderwart (obwohl eigentlich Dresden dran wäre), für die Elbefahrt die Kanustation in der Lutherstadt Wittenberg in den Fahrtenplan aufzunehmen