Bericht von der SCBG-Ruderwanderfahrt von Frankfurt bis Schwedt im Juni 2019
„Nur eine Klasse fehlt, der man sonst wohl auf den Flußdampfern unserer Heimat [...] zu begegnen pflegt: der Tourist vom Fach, der eigentliche Reisende, der keinen andern Zweck verfolgt, als Land und Leute kennenzulernen. Dieser Eigentliche fehlt noch, aber er wird nicht immer fehlen; [...] so sei doch das eine hier versichert, daß an den Ufern der Oder hin allerlei Städte und reiche Dörfer liegen, die wohl zum Besuche einladen können, und daß, wenn Sage und Legende auch schweigen, die Geschichte um so lauter und vernehmbarer an dieser Stelle spricht.“ Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Zweiter Teil: Das Odertal
Am verlängerten Pfingstwochenende 2019 brachen 15 Ruderinnen und Ruderer auf, um mit den SCBG-Skulls erstmalig das Wasser der Oder umzurühren. Obwohl der Grenzstrom zwischen Deutschland und Polen unweit von Berlin fließt, gab es hier noch nie eine Wanderfahrt. Das zu ändern, hatte sich die Fahrtenleitung Steffen E., Stefan H., Adrian B. und Uwe R. vorgenommen. Und nicht nur sie – als sie die Fahrt im Winter für vorerst zehn Personen in zwei C4x+ ausgeschrieben hatten, waren alle Plätze mir nichts dir nichts ausgebucht. Die rührige Fahrtenleitung organisierte jedoch in Windeseile zusätzliche Übernachtungsplätze, so dass noch ein weiteres Boot mitfahren konnte.
Frankfurt bis Schwedt und Schiffshebewerk
Die Fahrt war auf vier Rudertage mit insgesamt 170 Kilometern geplant, zum größten Teil die Stromoder flussabwärts von Frankfurt bis Schwedt. Die ambitionierten Plan-Tageskilometer wurden von der Strömung begünstigt. Jedoch sollte heftiger Gegenwind am Samstag diesen Effekt wieder aufheben, wie die Rudernden noch feststellen sollten.
Start der Tour war am Freitag Frankfurt/Oder beim Ruderclub von 1882. Von hier ging es die Oder abwärts bis zur ersten Übernachtung in Kienitz. Hieran schlossen am Samstag ein weiterer Schlag die Oder abwärts bis Hohensaaten sowie hinter der Schleuse Hohensaaten Ost eine Stichfahrt in Wriezener Alte Oder bis Oderberg an. Der Sonntag war ein Tagesausflug, der hinter dem Oderberger See dem Verlauf des Oderberger Gewässers und Oder-Havel-Kanals bis Eberswalde folgte und zurück auf demselben Weg. Entsprechend war das Schiffshebewerk Niederfinow zweimal zu passieren. An Pfingstmontag ging es erneut durch die Schleuse Hohensaaten Ost zurück auf die Stromoder, um über die Schwedter Querfahrt, Schleuse Schwedt den Wassersport PCK Schwedt e. V. als Endpunkt zu erreichen.
Donnerstag vor Pfingsten war Anreisetag, der einer solchen Wanderfahrt gemäß aufwendig war. Eine schlagkräftige Truppe kümmerte sich um die gesamte Logistik mit Abriggern in Berlin, Transport der Boote nach Frankfurt/Oder und mehrerer Autos nach Schwedt sowie Anriggern in Frankfurt. Nach dieser Prozedur klang der Abend im Frankfurter Kartoffelhaus direkt am Oderufer aus. Hier war der Treffpunkt für alle Teilnehmer. Nach und nach füllte sich der lange Tisch mit den Gruppen der Anriggerern, Autofahrern und Berlin-Nachzüglern, die den Tag über voller Vorfreude noch am Arbeitsplatz gesessen hatten.
Dass ein Thema die meisten der geselligen Runde beschäftigte, offenbarte sich nach nicht mal einer Stunde bei Tisch: Notdurft an Bord. Die Etappen auf der Stromoder waren lang und mögliche Anlegepunkte nicht immer bekannt. Mit diesem Wissen wurde mal dezent, mal prosaisch über Verhalten im Dringlichkeitsfall, mitgeführte Hilfsmittel und sogar Spargelverbot diskutiert. Letztlich, soviel sei verraten, begleitete das Thema die gesamte Fahrt. Einige Mannschaften handelten sich dabei einschlägige Spitznamen ein.
Wasserrutsche Stromoder
Nach einer Nacht im Hotel Zur Alten Oder, in dem einige Zimmer den Genuss einer Tram-Endhaltestelle und das Gerüst an der Hotelfassade in Bild und Ton hatten, ging es endlich los. Für die meisten Teilnehmer war es die erste Fahrt auf einem strömenden Gewässer. Der Hui-Moment, als die Boote die Oder betraten, erinnerte einige an die Wasserrutschbahn im Freibad. Die Strömung war angenehm, erforderte jedoch umsichtiges Steuern. Die mäandernde Fahrrinne führte die Boote an den zu diesem Zeitpunkt unter Wasser liegenden Buhnen vorbei, die durch steinige Untiefen und Gegenströmungen eine Gefahr für Boote sind.
Der Slalomkurs hielt die die Besatzungen aber nicht davon ab, die umgebende Natur, noch dazu bei bestem Wetter, zu genießen. Die weiten Polderwiesen auf deutscher und polnischer Seite waren ein Vorgeschmack auf das Oderbruch, durch das die Fahrt am vierten Tag führen sollte. Die Erkundung setzte sich auch an Land fort. Die Sportbootliegestelle auf halber Strecke bei Neubleyen erwies sich als gut und ruderbootfreundlich. Hier begeisterte eine alleinstehende kugelrunde Eiche vor allem die beiden anwesenden Biologen. Das Auftauchen von Störchen, Fledermäusen, Igeln und ihren Gesellen setzten die Ruderer immer wieder in Erstaunen.
Die Etappe endete in Kienitz, wo die 15 Ruderer im urigen Gasthaus Zum Hafen direkt hinter dem Deich eingebucht waren. Ein besonderes historisches Schmankerl erwarteten Thomas R., Andreas B., Felix B. und Florian M.: Sie waren ein paar hundert Meter in Ferienappartements untergebracht, wohin sie stilsicher im Trabbi (als Cabrio!) gefahren wurden. Die sehr warmen Luft- und Wassertemperaturen verleiteten Franz S. und Julian S. zu einem kurzen Schwimmvergnügen im Oder-Altarm, an dem der Ort Kienitz liegt. Ein weiteres Relikt aus der zum Glück ferneren Vergangenheit war in der Dorfmitte anzutreffen: ein Panzer erinnerte daran, dass der Ort der erste war auf deutschem Staatsgebiet war, den die Rote Armee im Winter 1945 über die vereiste Oder betrat, übrigens ohne Gegenwehr der Dorfbevölkerung.
Urig wie die Unterkunft war auch das Abendessen. Kulinarisch stand es, wie auch in den folgenden Tagen, unter dem nahrhaften Zeichen der Kartoffel. Die vereinsälteren Teilnehmer schwelgten in Erinnerungen an die erste Queerschlag-Wanderfahrt nach Dolgenbrodt Ende der 90er Jahre, wo die Ruderer ebenfalls eine ausgesprochen zweckmäßige Unterkunft erwartet hatte.
Die Zimmer des Gasthauses gingen größtenteils zum Wasser hinaus. Und auch musikalisch gemahnte die Natur die Städter daran, dass man sich hier in ihrem Hoheitsgebiet befand: Man schlief mit Froschkonzert ein und wachte mit Vogelkonzert auf. Und das, obwohl hier seit mehreren hundert Jahren der Mensch in die Natur umfassend eingreift: Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Deiche zum Hochwasserschutz gebaut und die Bewässerung der Landwirtschaftsflächen kontrolliert.
Gegenwind war nicht vorhergesagt
Nach dem großen Schlag auf der Oder am Vortag ging es am Samstag noch einige Kilometer weiter die Oder hinunter. Gestärkt durch einen Brötchenberg, den die großzügigen Wirtsleute jedem einzelnen zum Frühstück aufgeschichtet hatten, kämpften sich die Boote durch den nicht vorhergesagten Gegenwind Richtung Norden. Im Kräfteparallelogramm hoben sich Strömungs- und Windvektoren offenbar auf, sehr zum Unmut der Ruderer. Hier bewies die Reiseform Ruderwanderfahrt wieder, dass sie eben eine Sportreise ist und körperliche Anstrengung erfordert. Zum Glück für so manches müde Bein und leeren Magen konnten die drei Boote am kleinen Strand an der alten Zollbrücke anlegen – Kneipptreten gratis. Dankbar strömten die Besatzungen zu Milchkaffee, Kuchen und Eis im Gasthaus, das sich hinter dem Deich versteckte.
Nach gefühlten etlichen Kilometern Gegenwind bog die Reisegesellschaft links auf die Wriezener Alte Oder ab und passierte die Schleuse Hohensaaten Ost. Windgeschützter ging es die letzten Kilometer nach Oderberg. Das Anlegen und Aussetzen an der weit und breit einzig möglichen Stelle, beim Kanuverleih Oderberg, war für jedes der drei Boote ein Bravourstück. Vierer-C-Gigs sind länger als das längste Kanu – dieser Fakt aus der Wassersportrealität ereilte vor allem die Steuerleute, die nur durch geschicktes Klettern den Steg erreichten. Die freundlichen Kanuverleiher waren sehr hilfsbereit und erlaubten den Ruderern, die Boote auf dem Gelände zu lagern, so wie es die Fahrtenleitung zuvor ausgemacht hatte.
Eine exzellente Stärkung für die erneut hungrige Rudermeute hielt der Oderberger Eisfritze bereit, das einigen Berlinern aufgrund der Auszeichnung „beste Eisdiele 2003“ des BB Radios ein Begriff war. Hohe Erwartungen waren geweckt – und wurden aufs Beste erfüllt. Dass nach kaum aufgeschlecktem Eis der Wirt des Naturfreundehaus Eisguste, in dem die kommenden zwei Übernachtungen geplant waren, das gesamte Gepäck abholte, war eine ebenfalls willkommene Erleichterung.
Auch das Naturfreundehaus Eisguste bot Gelegenheit, jenseits von Hotelkomfort eine lustige und gesellige Zeit zu verleben. Das Haus mit dem riesigen, urwüchsigen Gelände war malerisch am Fuße des Pimpinellenbergs gelegen. Uwe R. schwärmte von der herausragenden biologischen Bedeutung des artenreichen Areals, das zumal für Insektenforscher ein Eldorado ist.
Ähnlich rustikal wie am Vortag verhielt es sich beim Abendessen am Samstag. Der vorbestellte Spargel war zwar da. Die resolute Servicechefin machte jedoch keinen Hehl daraus, dass sie statt etlicher Berliner Sonderwünsche lieber 15 Mal Spargel, Schnitzel und Kartoffeln verkauft hätte.
Fahrstuhlromantik
Am Sonntag stand der wassersportliche Höhepunkt der Tour auf dem Programm: Das Schiffshebewerk Niederfinow. Schon seit Jahren hatten einige Vereinsmitglieder, drunter Adrian B., Pläne entworfen, die einzigartige Riesenschleuse in eine Wanderfahrt einzubauen. Alle bisherigen Pläne waren verworfen worden – aber jetzt war es soweit. Der Tag war als Tagestour geplant: Oderberg – Schiffshebewerk – Eberswalde und auf demselben Weg zurück.
Hinter dem Oderberger See folgten die Boote erwartungsvoll dem Oderberger Gewässer in Richtung Niederfinow. Weithin sichtbar erhoben sich die beiden turmartigen Gebilde in der Landschaft: Das stählerne alte Hebewerk, gebaut 1927 bis 1934, und der Beton-Neubau des größeren Hebewerks direkt daneben (Baubeginn 2009). Für den SCBG war die Schleusung – oder korrekt: Hebung – im alten Hebewerk ein vermeintlich historischer Moment: Die alte Anlage sollte geschlossen werden, wenn 2020 die neue in Betrieb geht. Diese romantische Patina hatten mehrere aufgeklärte Oderberger aber bereits am Vortag wegpoliert. Bekannt war der Fakt, dass die neue Schleusenkammer etwas zu klein für die modernen Schubverbände und der wirtschaftliche Nutzen der gesamten Unternehmung ohnehin fraglich ist. Mit dem raunenden Tonfall desjenigen, der es schon längst gewusst hat, teilte man den romantischen Ruderern aber vertraulich mit, dass die Eröffnung 2020 nicht mehr als ein frommer Wunsch sei und sicherlich verschoben werde.
Parallelen zur Berliner Flughafenbaustelle seien rein zufällig. Aber auch mit dieser Relativierung zeitigte die Bergfahrt offene Münder und gereckte Hälse. Schon die Einfahrt in die „Fahrstuhlkammer“ erzeugte Gänsehaut. Aus dem sonnenhellen Tag tauchten die Boote unversehens ins kühle Zwielicht der Kammer ein. Der Hub von 36 Metern dauerte fünf volle Minuten, die gesamte Schleusung 20 Minuten. Überraschend tauchte Vereinsmitglied Martin B. auf und grüßte die selige Rudergemeinschaft von der Besucherempore aus. Er war über den Landweg nach Niederfinow zu Besuch gekommen.
Nach noch einigen Kilometern mehr erreichten die Boote den Stadtrand von Eberswalde. Eine ausgedehnte Pause inklusive Rast in einer Gaststätte im angrenzenden Gewerbegebiet folgte. Wäre nebenan nicht direkt der Kanal, an dessen Ufern sich Erholung suchende Eberswalder sonnten, hätte man die tankstellenartige Anlage auch in der Prärie des Mittleren Westens verorten können. Buletten, Kaffee und Kuchen schmeckten aber exzellent.
Auf der Rückfahrt nach Oderberg waren die Ruderer nicht mehr ganz so aufgeregt vor dem Hebewerk. Zu Unrecht: Aufregend wurde es, als sich die SCBG-Boote in die letzte Ecke der ziemlich vollen Kammer zwängen sollten. Manövriergeschick und zwei freundliche Herren im Kanadier, die Platz für die langen Ruderboote machten, entspannten die Lage. Entgegen einer gewöhnlichen Schleusung entfällt im Hebewerk die Wasserströmung. So war auch die Talfahrt ein schifffahrtsromantischer Genuss.
Am späten Nachmittag probierten die nun leiblichen Genuss suchenden Ruderer ein anderes der nicht zahlreichen Gastronomien Oderbergs aus. Die patente Wirtin staunte trotz telefonischer Voranmeldung nicht schlecht, als mit einem Schlag 15 Sportler ihren Gastraum bevölkerten und Hunger und Durst anmeldeten. Leitmotiv des Essens war auch hier: die Kartoffel, aus der die Wirtin allerlei Schmackhaftes zauberte.
Der Abend klang in einem Biergarten eine Straße weiter aus. Es stellte sich heraus, dass er von einem Berliner Paar betrieben wurde, das erst vor einem halben Jahr nach Oderberg „ausgesiedelt“ hatte. Einen Absacker gab es noch auf der Terrasse der verwunschenen Eisguste. Auch der größte Insektenfreund musste spätestens jetzt auf Autan zurückgeifen.
Die Zeit steht still
Am frühen Morgen des Pfingstmontags weckte ein heftiges Gewitter mit starkem Regenguss die Ruderer. Glücklicherweise kam es derart früh. Trotz unsicherer Wetterlage blieben die Sportler den restlichen Tag trocken. Die Wetterbeobachtung – damit ist nicht der Blick aufs Smartphone gemeint – war ein wichtiges Tagesthema. Die Stromoder, die die Gruppe nun wieder erreichte, zeigte sich ganz anders als noch zwei Tage zuvor. Wechselnde Wettererscheinungen wie Bewölkung, Dunst und klarer Himmel färbten den sich heute spiegelglatt dahingießenden Fluss in immer neues impressionistisches Licht. Mal vervollständigten vereinzelte backsteinerne Weiler und Gehöfte auf polnischer Seite das Bild, mal dichte Buchenhaine. Alles fügte sich in den Eindruck, als würde die Zeit stillstehen.
Die drei Rudermannschaften standen jedoch nicht still. Der lange Schlag durch das südliche Oderbruch von Hohensaaten bis zur Einmündung der Schwedter Querfahrt lief geschmeidig. Er wurde nur unterbrochen von einer kurzen Pause am streckenweise sandigen Ufer. Es hatte sich gelohnt, für diese Etappe die Stromoder zu wählen, wie der Kapitän eines Ausflugsschiffs in Niederfinow empfohlen hatte. Ursprünglich war geplant, die parallel verlaufende Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße zu nehmen. Diese Strecke ist zwar etwas kürzer, aber landschaftlich deutlich weniger reizvoll. Außerdem empfahl sich auf der gesamten Tour die Oder als Fluss fast ohne störenden Schiffsverkehr.
Hinter der kurzen Querfahrt erreichten die Boote die Schleuse Schwedt. Dahinter ging es wenige Kilometer auf der Wasserstraße zurück nach Schwedt, dessen wuchtige Straßenbrücke die hier sehr breite Wasserstraße überspannt. Kurz vor der Brücke endete nach 170 Kilometern die Fahrt bei den sehr gut ausgebauten Steganlagen des Wassersport PCK e. V. Wehmütig, dass die schöne Fahrt vorbei war, aber auch mit der freudigen Aussicht auf Entspannung für die beanspruchte Beinmuskulatur stiegen die Rudernden ein letztes Mal aus den Booten.
Das obligatorische Abriggern, Verladen und Transportieren von Mensch und Boot verlief flink und fast geräuschlos. Zurück in Berlin endete die Fahrt gegen 20 Uhr mit einem großen Dank an die vierköpfige Fahrtenleitung, die 15 müden, aber glücklichen Ruderinnen und Ruderer eine erholsame Nacht wünschte.
Julian S.